Sylter Palliativ Congress

Vom 21. März bis zum 25. März 2025 fand auf der wunderbaren Nordseeinsel Sylt wieder der alljährliche Palliativ Congress statt. Zirka 1.000 Teilnehmer*innen folgten an vier Tagen Referenten aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Congress stand unter dem Motto: Zeitdruck am Lebensende!

Sie haben die Möglichkeit im Folgenden zwei interessante Berichte zu lesen.

Bericht von Britta Litzius

Vom 22.-25.03.2025 besuchten wir: Petra Gottsand, Damaris Schöneich und ich, Britta Litzius die „Internationalen Sylter Palliativtage“ im Congresszentrum in Westerland auf Sylt. Schwerpunktthema der Veranstaltung war: Zeitdruck am Lebensende aus den verschiedenen Perspektiven betrachtet. Hr. Bernd Oliver Maier eröffnete die Veranstaltung und anschließend las die Autorin Charlotte Link Passagen aus ihrem Buch „6 Jahre – Das Sterben meiner Schwester“ und erzählte von ihrer Begleitung. Es war ein eindrucksvoller Bericht…

„Erzähl mir wir haben noch Zeit.
Erzähl mir der Weg wird ganz leicht
und erzähl, dass Du, bis ich geh bei mir bleibst
erzähl wie das Schiff seine Küste erreicht.“
Nils Koppruch

Jonas Geißler referierte gleich zu Anfang über die Zeit. Vom Beginn der Zeitmessung und ihrem Sinn, sowie die Entwicklung mit dem Umgang der Zeit. Im Zuge der Industrialisierung wurde (versucht) Zeit mit Geld aufzuwiegen und es entstand Zeitdruck und auch Zeitnot. Am Ende seines Vortrags kam er zu der Erkenntnis „Time is honey“ – Die Kraft des „Lassens“ nutzen und statt einer To-Do-Liste eine Let-it-be-Liste zu erstellen.

Eckhard Frick machte mit seiner Wurfparabel deutlich, dass Zeitdruck alle Menschen betrifft, nicht nur Sterbende am Lebensende. Die Parabel ist wie ein Lebensbogen zu verstehen. Mit der Geburt beginnt der Bogen. Im weitergehenden Leben/aufsteigenden Bogen haben wir Zeitdruck, um uns auf das Leben mit seinen gerade bevorstehenden besonderen Herausforderungen vorzubereiten. Mittig, jedes individuellen Bogens sind wir in der Lebensmitte angelangt. Die ist bei jedem individuell unterschiedlich, je nach Lebenslänge. Im absteigenden Leben/Bogen steigt der Zeitdruck sich mit den Sinnfragen seines Lebens in Vorbereitung auf den Tod auseinander zu setzen. Das Leben/der Bogen endet mit dem Tod. Das Ziel/der Tod liegt im Tal/am Bogenende. Zeitdruck ist demnach ein lebenslanges Begleitphänomen. Da wir nicht wissen, wo wir auf unserem Lebensbogen sind und wann wir am Ziel ankommen, sollten wir, so war seine Schlussfolgerung, das Leben in der Gegenwart leben. Oder vielleicht ist das Ziel im Tal nicht das Lebensende, sondern ein neuer Anfang?

Lerne jetzt zu leben, denn die Zeit ist gnadenlos
denn die Zeit verstreicht, vergeht, verrinnt…
So wie die Worte die du hörst,
weil sie dann schon gesprochen sind.
Die Zeit kommt und sie geht.
Sie nimmt was sie dir bringt.
Tick, tack, tick – hörst Du wie das Pendel schwingt?
Hörst Du wie die Zeit vergeht?

Alice im Wunderland

Anneke Ullrich beschäftigte sich in ihrem Vortrag für mich mittels KI digital erstellten Bildern sehr eindrucksvoll, was für ein Zeitdruck auf den Angehörigen der Sterbenden möglicherweise lastet. Folgende für uns im Hospiz auch wichtige Aspekte, um Angehörige besser zu verstehen und ihnen helfen zu können, hatte sie aufgeführt:

Zeitdruck und die Unaufhaltsamkeit der Dinge: Priorisierung der Dinge, Achtsam mit letzten Möglichkeiten umgehen und das bewusste Erleben im Hier und Jetzt fördern, Erinnerungen schaffen.

Zeitdruck und die Verantwortung für die eigenen Bedürfnisse: der „sichtbare“ Zeitdruck ist leidvoll und markiert die Bedeutsamkeit der Situation, Selbstfürsorge – soziale und strukturelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Zeitdruck und der Anspruch alles richtig machen zu wollen: „Ich kann nicht – oder ich will nicht? – Angehörigen Mut zur Begleitung zusprechen – wir sind alle sterblich und tragen in uns die Fähigkeit Sterben zu begleiten – aber kein Aushalten müssen, Akzeptanz des Unvermeidlichen – Selbstakzeptanz, Frieden im Abschiednehmen finden.

Zeitdruck und der Wunsch nach Heilung offener Wunden: Abschied ohne Reue, versuchen die Dinge zu klären, inneren Frieden finden – radikale Akzeptanz, Einbezug abwesender Familienmitglieder oder wichtigen Menschen z.B. durch Fotos.

Zeitdruck und das Warten auf den Tod: zwischen Loslassen und Festhalten wollen – diese Ambivalenz normalisieren, darüber sprechen, „sowohl-als-auch“, Trauer darf neben Erleichterung sein – liebevoll annehmen.

Interessant zu hören war auch der Vortrag von Alexandra Scherg: „Klare Worte finden – schwierige Gespräche unter Zeitdruck“.

Grundsätzlich sind alle Gespräche geprägt von: Aufrichtigkeit, Wertschätzung und Empathie.  Bei geplantenGesprächen: ausreichend Zeit, frühzeitig mit klärenden Gesprächen beginnen, immer mit einem vorher durchdachten Ziel in das Gespräch gehen und klar Erwartungen und Möglichkeiten äußern, aber auch ein aufmerksames Schweigen ist Kommunikation.

Die sehr treffende Essenz nach dem Vortrag war: „Ein gutes Gespräch, dauert auch nicht länger als ein schlechtes Gespräch.“

Die „Bedarfsmedikation“ bei Zeitdruck – Self-Care für den Arbeitsalltag bekamen wir von Tamara Mandel in bunten Bildern:

  • Kaffee- oder Tee-Pause
  • Kurz an die frische Luft
  • WC-Besuch
  • Kleine Sport- oder Entspannungsübung
  • Ein Snack zwischendurch

Zusammenfassend waren es 4 sehr gelungene Congresstage. Mit einem vielfältigem Vortrags- und Workshopprogramm. In den Pausen und innerhalb der Workshops gab es viel Kontakt und Austausch mit palliativen Kollegen aus den verschiedenen Settings. Super für den Blick über den eigenen Tellerrand.

Auch nach und innerhalb der Vorträge waren Beteiligung oder Nachfragen gewünscht.

Nicht nur die Organisatoren waren sehr kompetent, auch das Wetter auf Sylt war heiter und sonnig und die Insel hat alles dafür getan, dass wir uns sehr wohl dort am Meer, gleich hinter den Dünen gefühlt haben. Ich hoffe das wir lange etwas Salzluft mit in unseren Arbeitsalltag nehmen.

Bericht von Damaris Schoeneich

Sehr berührt hat mich die Abschlussveranstaltung „Patientensicht zum Umgang mit Zeitdruck am Lebensende“, einem Interview zwischen dem Wissenschaftlichen Leiter der Internationalen Sylter Palliativtage, Herrn Dr. Bernd Oliver Maier vom St. Josephs-Hospital Wiesbaden und der Influencerin Nadja Seipel, die 2015 die Diagnose Brustkrebs bekam, als ihre Tochter 5 Jahre alt war.

Nadja Seipel berichtet von ihren körperlichen Problemen, von ihren Ängsten, Belastungen und Verunsicherungen, von der Unmöglichkeit, einen normalen Alltag zu leben, von ihrer Sorge um die Tochter, von ihrem Wunsch nach einem „geordneten Hinterlassen“. Dass es ihr gelungen sei, destruktive Gedanken zuzulassen und dann beiseite zu legen, um ein Vorbild für ihre Tochter sein zu können.

Was ihr Kraft gegeben habe, die Hoffnung zu behalten: Familie, Freunde, der Wunsch weiterzuleben, Sport („Kämpfen und Weitermachen“), positives Mindset, ihr Wunsch, alles vorbereitet zu hinterlassen.

Nadja Seipel hat für ihre Tochter ein Familienhörbuch aufgenommen und sich ein neues Hobby für mehr Mobilität und Flexibilität zugelegt. Sie schreibt auf ihrem Instagram-Account über ihr Leben als Palliativpatientin.

Im Interview mit Dr. Bernd Oliver Maier beschreibt sie sich selbst als demütig und dankbar. Sie habe Oberflächlichkeiten abgelegt und schiebe nichts mehr auf. Sie sauge alles auf und nehme jeden Tag als Geschenk an.

Zum Schluss stellt sie sich an den Rand des Podiums und spricht uns Kongressteilnehmer an. Sie sei beeindruckt von den Menschen, die den Saal füllen, von unserer Initiative, unserem gegenseitigem Beraten und unserem Interesse an Weiterbildung.

Dann dankt sie uns im Namen aller Palliativpatienten: „Bleiben Sie bei uns, bleiben Sie hoffnungsvoll!“

Standing Ovation.